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Obwohl Larine einer der jüngeren Druiden war, stand er bereits im Ruf der Weisheit. Sie nannten ihn den  »Friedensstifter«. Daher überraschte es ihn nicht, als er an einem kalten frühen Frühlingstag in das Lager unweit der Ulster–Küste gelangte, wo gerade der Hochkönig weilte, dass dieser sich, sobald sie allein waren, an ihn wandte und ihn fragte:

»Sagt mir Eure Meinung, Larine. Was soll ich mit meinem Neffen Conall tun?«

Der Druide hatte Conall stets gemocht, und in den letzten Monaten hatte sich ihm der junge Prinz in vielen Dingen anvertraut. Er fühlte sich ihm verbunden. Außerdem hatte er sich Sorgen über die zunehmende Traurigkeit gemacht, die er im Gemüt des jungen Mannes spürte. Daher antwortete er mit aller Vorsicht.

»Meiner Ansicht nach ist er verunsichert, fühlt sich in einem Zwiespalt. Es ist seine Pflicht, Euch in allen Dingen zu gehorchen und dem Andenken seines Vaters Ehre zu machen. Dazu ist er auch gewillt. Aber die Götter haben ihm die Augen eines Druiden verliehen.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass er die Gaben besitzt, ein Druide zu werden?«

»Ja, das glaube ich.«

Es trat ein langes Schweigen ein, bevor der Hochkönig wieder das Wort ergriff.

»Ich habe seiner Mutter versprochen, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten wird.«

»Ich weiß.« Larine überlegte. »Aber habt Ihr auch einen Eid darauf geschworen?«

»Nein«, antwortete der König bedächtig, »das habe ich nicht. Aber nur deshalb nicht, weil dies nicht notwendig war, da sie ja meine Schwester war.«

»Wie dem auch sei, Ihr seid also nicht gebunden.«

Wieder trat ein langes Schweigen ein. Und wenn sie auch nur ein wenig länger in aller Ruhe allein miteinander gesprochen hätten, dann hätte der Hochkönig, so schien es Larine, womöglich noch an Ort und Stelle Conalls Wunsch erfüllt.

Es musste ein Wink des Schicksals gewesen sein, dass just in diesem Moment die Königin erschien. Nach den üblichen Begrüßungen sah sie Larine misstrauisch an und fragte, worüber sie gesprochen hatten.

»Über Conalls Wunsch, ein Druide zu werden«, antwortete er ruhig.

»Nicht bevor er mir diesen Stier gebracht hat«, rief sie wütend.

* * *

»Dein Onkel hat sich noch nicht entschieden«, erzählte Larine später Conall.

»Und die Königin?«

»Die Königin schien sehr aufgebracht zu sein«, gab der Druide zu.

Das war noch stark untertrieben. Natürlich wusste Larine über die Launen der Königin Bescheid, dennoch war er schockiert gewesen, wie grob sie ihren Gemahl beschimpft hatte. Er habe ihr persönlich versprochen, Conall loszuschicken, schrie sie ihm ins Gesicht, er sei ein nichtswürdiger Verräter. Ihr Gemahl hatte versucht, etwas zu entgegnen, aber sie unterbrach ihn mit einem stürmischen Wortschwall, der den tieferen Grund des geplanten Rinderraubs enthüllte: der königlichen Autorität Geltung zu verschaffen. Und hier konnte Larine nicht leugnen, dass der Standpunkt der Königin richtig war: Prinz Conall war der Mann, um den unverschämten Häuptling in seine Schranken zu verweisen. Indem sie den Hochkönig in Gegenwart eines Druiden mit Beleidigungen überhäufte, machte sie es ihrem Gemahl schwer, nachzugeben und zugleich seine Würde zu bewahren. Von alledem sagte Larine aber Conall kein Wort, sondern berichtete nur: »Der Hochkönig wird sich später entscheiden.« Und er fügte hinzu: »Aber er hat mir versprochen, dass er zuerst vertraulich mit dir sprechen wird.«

»Ich hatte keine Ahnung von diesem Plan, den schwarzen Stier zu rauben«, gestand Conall.

»Er ist auch noch geheim, und du darfst sie nicht wissen lassen, dass ich dir davon erzählt habe.« Larine hielt inne. »Du könntest ja den Stier beschaffen, Conall, und dann den Hochkönig bitten, dich von deinen weiteren Pflichten zu entbinden. Dagegen könnte die Königin nichts einwenden.«

Conall schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich kenne die beiden besser als du. Wenn es mir gelingt, den Stier zu entführen, werden sie von mir, bevor der Monat um ist, eine nächste Heldentat verlangen. Eine Aufgabe wird der anderen folgen. Schande über mich, wenn ich darin versage; und Ehre, wenn ich sie erfolgreich meistere – Ehre für mich selbst, aber vor allem für meinen Onkel, den Hochkönig. Dieses Spiel wird nie ein Ende nehmen, bis ich sterbe.«

»Es könnte aber auch anders ausgehen.«

»Nein, Larine. Genau so wird es ausgehen. Es gibt nur einen Weg, diesem Treiben ein Ende zu setzen, und der ist, gar nicht erst anzufangen.«

»Du kannst dich nicht weigern.«

Conall brütete eine Weile schweigend vor sich hin.

»Vielleicht kann ich es doch«, murmelte er dann.

Am besten, dachte der Druide bei sich, erzähle ich dem König von alledem kein Wort.

Der Winter war fast vorüber, und noch immer war der Neffe des Hochkönigs nicht gekommen. An manchen Tagen, so dachte Fergus bei sich, sah Deirdre blasser aus als der Mond. Sogar ihren Brüdern fiel auf, wie traurig sie war. Es war eine schlechte Idee, dachte ihr Vater, dass ich sie mit zum Lughnasa–Fest nach Carmun genommen habe. Sie wäre Conall besser nie begegnet.

Zuerst hatte er angenommen, dass Conall bald kommen würde. Deirdre war schließlich nicht auf den Kopf gefallen; dass sie das Interesse des jungen Mannes überschätzt hatte, konnte er sich nicht vorstellen. Aber die Zeit verging, ohne dass der Prinz ein Lebenszeichen von sich gegeben hätte. Der Häuptling ließ diskret Nachforschungen über ihn anstellen. Er hatte von den gessa der Druiden erfahren, mit denen Conalls Leben belegt war, und hatte seine Tochter behutsam davor gewarnt. »Männer, die von einem Schicksal dieser Art gezeichnet sind«, gab er ihr zu verstehen, »haben oft kein einfaches Leben.« Aber ihm wurde schnell klar, dass derlei Warnungen ihr nichts bedeuteten.

Warum hatte er sich also nicht gemeldet? Das konnte alle möglichen Gründe haben. Aber als er sah, wie sehr sich seine Tochter insgeheim grämte, befiel Fergus immer wieder ein Gedanke: Wer war denn schuld, dass Conall nicht erschien? Weder der Prinz noch Deirdre, sondern er selbst. Denn warum sollte ein Prinz wie Conall die Tochter des Fergus heiraten? Dazu gab es überhaupt keinen Grund. Wenn er ein mächtiger Häuptling wäre, wenn er Reichtümer besäße dann sähe die Sache anders aus. Aber er besaß nichts dergleichen.

Andere Männer der Insel, die auf keine berühmteren Ahnen zurückblicken konnten als er, hatten sich an den großen Raubzügen beteiligt oder waren zum Kampf ausgezogen und hatten sich auf diese Weise Reichtum und Ruhm erworben. Aber was hatte er getan? Er war stets in Dubh Linn geblieben, hatte über die Furt gewacht, hatte Reisende in seinem Haus bewirtet und unterhalten.

Genau dies hatte mit zu seinen Sorgen beigetragen. Wer in seinem Haus einkehrte, wurde würdig empfangen und bewirtet. Fergus hatte keine Bedenken, eine Sau oder sogar eine Kuh zu schlachten, um einem Gast ein reichliches Mahl vorzusetzen. Der alte Barde, der ihm fast jeden Abend seine Geschichten und Verse vortrug, wurde großzügig bezahlt. Die Familien von den abgelegenen Gehöften, die ihn ihren Häuptling nannten, erhielten in seinem Haus immer eine gute Mahlzeit; und wenn sie mit dem bescheidenen Tribut an Vieh oder Fellen, den sie ihm schuldeten, im Rückstand waren, vergaß er diese Schulden oft großzügig. Die Häufung dieser bescheidenen Bezeugungen seines Status, die ihm zur Aufrechterhaltung seiner Würde so wichtig erschienen, hatten in den letzten Jahren dazu geführt, dass Fergus Schulden machen musste, die er seiner Familie verschwieg. Bisher hatte ihn sein Viehbestand noch immer aus der Not gerettet. Er dankte den Göttern für sein ausgeprägtes Talent als Viehhändler. Aber seine Sorgen machten ihm – insbesondere nach dem Tod seiner Frau – immer mehr zu schaffen.

Was bin ich denn noch?, fragte er sich. Ein Mann, der auf seine Tochter stolz ist. Sie wird mir einen beachtlichen Preis einbringen. Und habe ich etwas vollbracht, worauf sie stolz sein könnte? Kaum. Und nun hatte sie sich auch noch in einen Mann verliebt, der sie wegen ihres Vaters nicht heiraten würde.

Nie verlor sie ein Wort über ihren Kummer. Sie ging ihren täglichen Arbeiten nach wie immer. Manchmal, vor dem Mittwinter, hatte er sie sehnsüchtig über die eisigen Wasser an der Furt blicken sehen. Einmal war sie hinüber zur Landzunge gewandert, um nach der kleinen Insel zu sehen, die sie so sehr liebte. Aber gegen Ende des Winters hatte sie für nichts mehr einen Blick.

»Du bist noch blasser als eine Schneeflocke«, sagte er eines Tages zu ihr.

»Schneeflocken schmelzen einmal – ich nicht«, antwortete sie. »Oder hast du Angst«, fragte sie plötzlich mit bitterem Humor, »ich könnte mich vor meinem Hochzeitstag in nichts auflösen?« Und als er den Kopf schüttelte, meinte sie: »Das Beste wäre, du brächtest mich zu meinem Gemahl nach Ulster.«

»Nein«, sagte er sanft, »noch nicht.«

»Conall kommt ja doch nicht.« Sie klang resigniert. »Ich sollte dankbar sein für den braven Mann, den du für mich gefunden hast.«

Du solltest für gar nichts dankbar sein, dachte er bei sich. Aber laut sagte er: »Noch ist genügend Zeit.«

Ein paar Vormittage später verkündete er Deirdre und ihren Brüdern, dass er für ein paar Tage fort sein werde. Ohne weitere Erklärungen schwang er sich auf sein Pferd und ritt über die Furt davon.

* * *

Finbarr hörte aufmerksam zu, als Conall ihm die Sache mit dem Rinderraub erzählte und wie er sich dabei fühlte. Dann schüttelte er staunend den Kopf.

»Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Conall«, meinte er. »Ich bin ein armer Mann aus dem Volk. Was würde ich nicht alles geben für eine solche Chance! Und du, ein Prinz, musst gegen deinen eigenen Willen gewaltsam zum Ruhm gezerrt werden.«

»Du solltest diesen Raub anführen, Finbarr, und nicht ich«, entgegnete Conall. »Ich werde es meinem Onkel vorschlagen.«

»Mach das nicht«, bat Finbarr. »Das würde mir nur Probleme bescheren.« Und nach einer Pause blickte er Conall neugierig an und fragte freundlich: »Gibt es nicht noch etwas anderes, was du auf dem Herzen hast?«

Anfang Winter war ihm die Verwandlung im Verhalten seines Freundes aufgefallen. Zwar war Conall von Natur aus immer leicht trübsinnig gewesen, aber als er ständig die Stirn zu runzeln, seine Lippen zusammenzupressen und ziellos in die Ferne zu starren begann, war Finbarr klar geworden, dass etwas passiert sein musste. Als Conall ihm nun von dem Stier erzählte, nahm er daher an, dass dies die heimliche Sorge gewesen war, die seinen Freund niedergedrückt hatte. Aber als er fragte: »Seit wann weißt du das?«, und der Freund antwortete: »Seit zwei Tagen«, wusste er, dass Conalls Anwandlungen von Trübsinn noch eine andere Ursache haben mussten. »Bist du sicher, dass du nicht noch etwas auf dem Herzen hast?«

»Ja, ganz sicher«, sagte Conall.

In diesem Moment kam eine hoch gewachsene und unvertraute Gestalt auf sie zu.

Fergus hatte einige Tage gebraucht, um das Lager des Hochkönigs zu finden, aber als er es erreicht hatte, hatte ihm sofort ein Mann den Weg zu Conall gewiesen. Mit heimlicher Bewunderung musterte er den hübschen Prinzen und seinen gut aussehenden Gefährten.

»Seid gegrüßt, Conall, Sohn des Morna«, sagte er feierlich. »Ich bin Fergus, Sohn des Fergus, und ich habe Euch etwas unter vier Augen zu sagen.«

»Es gibt nichts, was mein Freund Finbarr nicht hören dürfte«, sagte Conall ruhig.

»Es geht um meine Tochter Deirdre«, begann Fergus, »die Ihr in Dubh Linn mit Eurem Besuch beehrt habt.«

»Nun ja – das will ich lieber doch allein hören«, sagte Conall rasch, und so verließ Finbarr die beiden. Er hatte mit Erstaunen bemerkt, dass sein Freund errötet war.

Fergus brauchte nicht lange, um Conall alles über Deirdre zu erzählen. Als er darauf zu sprechen kam, wie sehr sie ihm in Liebe zugetan sei, machte der junge Prinz ein schuldbewusstes Gesicht; als er ihm erklärte, welches Angebot Goibniu eingefädelt hatte, erbleichte Conall. Fergus bedrängte den verwirrten jungen Mann nicht, sich auf die eine oder andere Art zu erklären, sondern stellte lediglich fest:

»Sie wird nicht vor dem Beltaine–Fest vergeben. Aber danach muss sie vergeben werden.« Und mit diesen Worten schritt er wieder von dannen.

* * *

Insgeheim musste Finbarr lächeln. Conall war also den ganzen Weg bis zur Liffey geritten, um dieses Mädchen wiederzusehen, das er ihm am Lughnasa–Fest vorgestellt hatte. Darüber also hatte sein Freund die ganze Zeit gegrübelt. Wenigstens einmal verhielt sich dieser rätselhafte Prinz wie ein ganz normaler Mann. Also bestand noch Hoffnung.

»Ich glaube«, sagte Finbarr mit einigem Vergnügen, »dass du dringend meinen Ratschlag brauchst.« Er blickte ihm streng in die Augen. »Begehrst du dieses Mädchen wirklich?«

»Vielleicht. Ich glaube schon. Ich weiß es selbst kaum.«

Beltaine. Das war Anfang Mai.

»Dir bleiben nur noch zwei Monate«, gab ihm Finbarr zu bedenken, »um dir darüber klar zu werden.«